09.07.2024
Autor: Wolfgang Heumer
Zugegeben: Der Ursprungsgedanke für eines der wohl ungewöhnlichsten Kochstudios in Deutschland war von einem aus heutiger Sicht antiquierten Weltbild geprägt. Denn in der „Seefisch-Lehrküche“ im damaligen Fischereihafen von Geestemünde sollten junge Frauen als Hauswirtschaftsschülerinnen auf ihre Zukunft am heimischen Herd vorbereitet werden. Das war 1927.
Inzwischen ist der Fischereihafen längst Teil der Stadt Bremerhaven und eines der größten Zentren der Lebensmittelindustrie in Deutschland geworden. Die einstige Lehrküche heißt heute Fischkochstudio – und das ist nicht die einzige Veränderung: „Unsere Kochshows und Kurse können locker mit all den Sendungen mithalten, die in den TV-Studios rund um gutes, gesundes und leckeres Essen produziert werden“, sagt die kaufmännische Leiterin des Fischkochstudios, Christina Klug.
Selbst Profis lassen sich in Bremerhaven schulen
Nicht nur an der Küste, auch im Binnenland hat sich herumgesprochen, dass Meeresdelikatessen wohlschmeckend und gesund sind – sie liefern hochwertiges Eiweiß und wichtige Nährstoffe wie Jod, Selen und Vitamin D. „Trotzdem zögern viele Menschen noch, Fisch selbst zuzubereiten“, sagt der kulinarische Chef des Kochstudios, Ralf Harms. Als gelernter Koch und Küchenmeister ist der 54-Jährige ein pragmatisch handelnder Mensch: „In der Theorie kann man anderen viel erzählen, dass die Zubereitung von Fisch kinderleicht ist“, sagt er, „aber am besten ist es immer, es in der Praxis zu zeigen und vor allem, es selbst auszuprobieren.“ Wer einmal gesehen hat, wie der Profi Harms einen Lachs filetiert und häutet und es dann mit den eigenen Händen versucht, weiß: Seine Aussage ist keine Übertreibung.
Harms und sein Team zeigen in ihren Show-Programmen vor Gästen aus ganz Deutschland die Vielfalt der Fischzubereitung. Klassisch gebraten oder gedünstet oder zu ungewöhnlichen Gerichten wie Gin-Lachs mit Senfkaviar und Wildkräutern kombiniert – das Fischkochstudio vermittelt Basiswissen für Anfängerinnen und Anfänger genauso wie Kenntnisse für fortgeschrittene Hobbyköche. Selbst Profis lassen sich in Bremerhaven gerne schulen, sagt Christina Klug.
Jährlich kommen mehr als 10.000 Fischinteressierte zu den Seminaren, Küchenpartys und Kochshows in die Eventlocation Fischbahnhof, einer ehemaligen Fischversandhalle im Fischereihafen. „Mehr Fisch in und um eine Lehrküche herum werden die Gäste nirgends finden“, unterstreicht Klug. Es sei zudem schon etwas Besonderes und Einmaliges, sein Fischwissen „im Herzen der deutschen Fischwirtschaft“ aufzufrischen oder zu erweitern, sagt sie.
„Wir möchten für das Lebensmittel Fisch werben“
Sowohl in den Programmen im großen Kochstudio als als auch in den individuellen Erlebniskochkursen in den beiden kleineren Küchen spiegelt sich in moderner Form wider, was seit den 1950er-Jahren zur Grundaufgabe der in Deutschland einzigartigen Einrichtung gehört: „Wir möchten für das Lebensmittel Fisch werben, für das das Bewusstsein in Deutschland noch nicht so ausgeprägt ist wie in vielen anderen Ländern Europas“, betont Christina Klug.
Zweifelsfrei geht die Liebe zu Fisch-Delikatessen durch den Magen. Doch immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich nicht nur angesichts der Überfischung der Weltmeere: Was darf ich eigentlich noch guten Gewissens essen? Die Bremerhavener Fischwirtschaft hat 2017 eine Initiative ins Leben gerufen, damit Handel sowie Gastronomie umfassende Antworten auf alle Fragen rund um das Lebensmittel Fisch geben können. Gemeinsam mit der Handelskammer Bremen - IHK für Bremen und Bremerhaven entwickelten die führenden Unternehmen der Branche die Ausbildung zur Fischsommelière und zum Fischsommelier. Die Fachleute sind eine Art Botschafter des Fisches.
Köche sind IHK-geprüfte Fischsommeliers
In rund 60 Unterrichtsstunden bekommen die Teilnehmenden umfassendes Wissen über Fisch, seine Herkunft, seine Qualität, seine Lagerung und die Verarbeitung sowie zu allen Aspekten des Themas bestandsschonende Fischerei vermittelt. „Am Ende muss man eine ziemlich anstrengende Prüfung absolvieren“, weiß Ralf Harms aus eigener Erfahrung – er war einer der ersten Fischsommeliers, die das Examen ablegten. Der Aufwand einer IHK-Prüfung wird den Teilnehmenden bewusst abverlangt: „Es ist ein klares Signal, dass wir fundiertes und seriöses Wissen zu einem Thema vermitteln, das viele Menschen bewegt“, betont Ralf Harms. Fischsommelier oder Fischsommelière können nur Menschen werden, die bereits über eine langjährige Berufserfahrung mit Fisch haben.
Mit seinem Kollegen Florian Zerbst hat Harms seit 2022 im Fischkochstudio einen zweiten zertifizierten Sommelier an seiner Seite. „Es war schon herausfordernd, neben der Arbeit im Fischkochstudio noch die Theorie zu büffeln und Stoff von mehreren tausend Seiten zu lernen“, sagt Zerbst über die Zusatzausbildung – er ist ja schon gelernter Koch. Aber darauf zu verzichten, kam für ihn nicht in Frage: „Ich hatte eigentlich nie etwas anderes als Fisch in der Hand“, erinnert sich der geborene Bremerhavener.
Florian Zerbst achtet darauf, möglichst wenig der beim Kochen verwendeten Lebensmittel zu verschwenden. Für ihn ist der verantwortungsvolle, ressourcenschonende Umgang mit Fisch und auch mit den anderen Zutaten selbstverständlich. Der 32-Jährige liebt die „unendlichen Möglichkeiten“ der Verwertung und wird nicht müde, immer wieder Neues auszuprobieren und den Gästen der Kochshows und -seminare mitzugeben. Das ergänzt sich innerhalb des Teams offenbar prima: „Ralf Harms liebt eher das Traditionelle und lacht schon über mich und meine Experimentierfreude“, so Zerbst.