17.07.2023
Autor: Wolfgang Heumer
Mit dem Blick auf Wetterdaten der vergangenen 50 Jahre kann sie geringe Wasserstände bis zu drei Monate im Voraus vorhersagen. Diese Erkenntnisse helfen nun auch bei einem weiteren zukunftsweisenden Wasser-Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
„Seitdem Sie uns unterstützen, kann ich wieder ruhig schlafen.“ Dass ein Hafenmanager so etwas zu einer Wissenschaftlerin sagt, dürfte eher selten vorkommen. Dr. Monica Ionita bekam es vor einiger Zeit vom Hafenmanagement der Hamburg Port Authority zu hören. Ein Lächeln zeigt, dass sie sich auch heute noch darüber freut. Die promovierte Meteorologin arbeitet als Klimatologin am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und sucht mit Hilfe von Langzeit-Wetterdaten Hinweise auf bevorstehende Niedrigwasserstände in großen Flüssen. Der Hamburger Hafenverwaltung liefert sie seit drei Jahren mit bis zu drei Monaten Vorlauf Warnungen vor geringen Wassermengen in der Elbe. „Der Wasserstand im Fluss ist für das Sedimente-Management im Hafen besonders wichtig“, weiß die Wissenschaftlerin. Wird die Hafenverwaltung rechtzeitig auf bevorstehende Niedrigstände hingewiesen, kann sie einer drohenden Verschlickung des größten deutschen Seehafens vorbeugen. Seit Kurzem trägt die Bremerhavener Wissenschaftlerin mit Prognosen über die Wassermengen im Rhein dazu bei, dass die Wasserversorgung Rheinhessen-Pfalz jederzeit den Umfang der Wasservorräte kennt.
Basis der langfristigen Prognosen ist das Wissen um Zusammenhänge
Niedrige Wasserstände in den großen Flüssen scheinen zumindest auf den ersten Blick Ergebnis einer kurzfristigen Entwicklung zu sein. Hat es längere Zeit nicht geregnet oder ist im Winter wenig Schnee in den Bergen gefallen, sinken mit etwas zeitlicher Verzögerung die Pegelstände. So wirkt es zumindest aus Laiensicht; auch Wetter- und Wasserexpertinnen und -experten war es bis vor wenigen Jahren noch unmöglich, eine Niedrigwasserperiode mit mehr als sechs Wochen Vorlauf präzise vorherzusagen. „Inzwischen können wir aber mit sehr großer Sicherheit bereits im Mai bis Ende September vorhersagen, ob und wann die Durchflussmengen in Elbe und Rhein gering sein werden“, sagt Monica Ionita. Basis ihrer langfristigen Prognosen ist das Wissen um Zusammenhänge. „Dass es am ersten Juli-Wochenende über Norddeutschland kräftig geregnet hat, war kein überraschendes Ereignis“, verdeutlicht sie das Prinzip an einem konkreten Beispiel: „Der Regen in dieser Zeit war vorhersehbar, weil das Meerwasser bei den britischen Inseln schon Wochen zuvor deutlich wärmer als üblich war.“
Meeresoberflächen-Temperatur im Nordatlantik hat Einfluss auf Rhein und Elbe
Das Wissen um solche Zusammenhänge schöpfte Monica Ionita aus detaillierten Meeres- und Klimadaten aus fast sieben Jahrzehnten. Sorgfältig analysierte sie die schier endlosen Informationen und verglich sie mit Messwerten von Pegelständen und Wassermengen in Elbe und Rhein. Das Ergebnis war eindeutig: Neben der Oberflächentemperatur in bestimmten Meeresregionen und dem dort vorherrschenden Luftdruck spielen die Temperatur, der Niederschlag und die Bodenfeuchte im Quell- und Einzugsgebiet des jeweiligen Flusses eine entscheidende Rolle. „Für die Wasserstände in Rhein und Elbe ist die Meeresoberflächen-Temperatur des Nordatlantiks der alles entscheidende Faktor. Sie beeinflusst das Wetter in Mitteleuropa maßgeblich und entscheidet vereinfacht gesagt, auf welchen Bahnen Sturm- und Regengebiete ziehen werden“, erklärt die Wissenschaftlerin. Aus den entsprechend aufbereiteten historischen Daten entwickelte sie ein statistisches Modell, das sie nun mit Echtzeitdaten aller relevanten Wetter- und Umweltparameter aus den zurückliegenden Monaten füttern kann. Das Ergebnis ist verblüffend: „Per Computer können wir so berechnen, welche Menge Wasser im anvisierten Zeitraum an einer bestimmten Stelle im Fluss fließen wird.“
Trinkwasser-Vorräte mit künstlicher Intelligenz genau im Blick
Parallel zu der erfolgreichen Prognosearbeit für den Hamburger Hafen beteiligt sich die Bremerhavener Wissenschaftlerin mit ihren Berechnungsmodell an einem weiteren zukunftsweisenden Wasser-Projekt: aktiv (agile Netzsteuerung zur Erhöhung der Resilienz der Kritischen Infrastruktur Wasserversorgung), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Hitze- und Trockenperioden, niedrige Pegel in den Flüssen und sinkende Grundwasserstände stellen die Wasserversorger in Deutschland vor neue und wachsende Herausforderungen. Um sich für die absehbaren Veränderungen zu wappnen, hat die Wasserversorgung Rheinhessen-Pfalz ein besonderes Pilotprojekt gestartet: Sie wollen in einem „Digitalen Zwilling“ der Trinkwasserversorgung in ihrer Region den realen Verbrauch der verfügbaren Wassermenge gegenüberstellen. Für die Berechnung der Wasservorräte stellt Monica Ionita dem Projekt ihre längerfristigen Prognosen über die Wasserstände im Rhein zur Verfügung. In dem angestrebten System soll sogar künstliche Intelligenz einfließen, so dass es selbstlernend die Vorhersagen automatisieren und ihre Genauigkeit verbessern kann. In dem Punkt braucht sich die Expertin jedoch keine Gedanken zu machen. Ihre Prognosen hatten bereits 2018 ihre Verlässlichkeit bewiesen. Den Dürresommer, der seinerzeit viele Flussanrainer, die Schifffahrt und die Industrie überraschte, hat das System aus Bremerhaven bereits im Mai vorhergesagt
Kontakt für Redaktionen:
Monica Ionita, Klimatologin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven, www.awi.de, Tel: 0471 4831-1845, Mail: Monica.Ionita@awi.de
Bildmaterial:
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Foto 1: Die Bremerhavener Wissenschaftlerin Dr. Monica Ionita prognostiziert am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung mit Hilfe von Langzeit-Wetterdaten Hinweise auf niedrige Wasserstände in großen Flüssen. © WFB/Jörg Sarbach
Foto 2: Die Meeresoberflächen-Temperatur im Nordatlantik hat einen wesentlichen Einfluss auf die Wasserstände in Rhein und Elbe – so eine grundlegende Erkenntnis von Monica Ionita, hier vor dem AWI-Forschungskutter Uthörn. © WFB/Jörg Sarbach
Foto 3: Die Prognosen der Bremerhavener AWI-Wissenschaftlerin sind nun auch im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Pilotprojekts gefragt. © WFB/Jörg Sarbach
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