28.03.2022
Autor: Wirtschaftsförderung Bremen / Reinhard Wirtz
Dr. Saskia Greiner, Innovationsmanagerin Wasserstoff bei der BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH, und Dieter Voß, Referent bei der Bremer Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, skizzieren die Schwerpunkte in Bremen und Bremerhaven.
Frau Dr. Greiner, Bremerhaven versteht sich als Testregion für Wasserstoff-Anwendungen. Was bedeutet das konkret?
Dr. Saskia Greiner: Darunter verstehen wir vor allem das Testen von Prototypen. Wir nutzen dabei die Windenergie in Bremerhaven als Blaupause, denn wir haben gesehen, dass Prototypen eine gewisse Zeit lang getestet werden müssen, bevor sie in die reale Anwendung kommen. Bremerhaven ist kein typischer Standort für die Produktion von Wasserstoff oder für Derivate. Dafür haben wir hier weder die Flächen noch die Anbindung. Wir sehen uns daher mehr als Anwendungs-Hub und wollen Prototypen auf dem Wasser und auf der Straße vor Ort testen.
An welche Prototypen denken Sie dabei?
Dr. Saskia Greiner: Das könnte zum Beispiel ein Schiff oder eine Fähre sein, ein Arbeitsschiff der Hafengesellschaft, ein Ausflugsdampfer, Barkassen oder ein Schlepper. Wir haben auch eine Studie zu einem innovativen Segler in Auftrag gegeben. Für Prototypen an Land schauen wir besonders in Richtung Logistik. Es gibt zahlreiche Logistiker hier mit unterschiedlich großen Fahrzeugen bis hin zu 40-Tonnen-Sattelzugmaschinen, und damit auch ein geeignetes Umfeld, in dem wir die Prototypen testen können. Das schließt Fahrzeuge ein, die in ständig wiederkehrendem Turnus morgens losfahren, abends wieder hereinkommen und dann betankt werden müssen.
Welche Partner aus Wissenschaft und Technik sind für Sie von besonderer Bedeutung, um diese Projekte umzusetzen?
Dr. Saskia Greiner: Im Bereich der Mobilität sind wichtige Partner das Technologie-Transfer-Zentrum Bremerhaven (ttz) sowie das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL), das uns mit Studien unterstützen kann, und natürlich Logistiker mit ihren Anwendungsbeispielen. In Bremerhaven möchten wir eher kleinere Unternehmen oder auch Zulieferer anprechen, die nur einzelne Komponenten des großen Ganzen testen möchten. Wir wollen darüber hinaus auch ein Testfeld für den Elektrolyseur aufbauen, daran ist das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) maßgeblich beteiligt.
In Bremerhaven ist mit mehreren konkreten Projekten schon begonnen worden. Können Sie uns Beispiele nennen?
Dr. Saskia Greiner: Das Projekt 'Testregion für mobile Wasserstoffanwendungen' wird über den Bremen-Fonds mit fünf Millionen Euro gefördert. Außerdem haben wir zwei Umrüstungsstudien für ein Polizeifahrzeug und für einen Unimog, also für ein Nutzfahrzeug, in Auftrag gegeben. Eine weitere Studie befasst sich mit dem Einsatz eines Kühl-Lkws, damit bewegen wir uns in der Klasse der 40-Tonner. Mit einer wissenschaftlichen Begleitung sollen die Erfahrungen zurückgespiegelt und in die weitere Entwicklung der Fahrzeuge sowie der Ausrüstung einbezogen werden.
Und es gibt ein großes Querschnittsprojekt, das eine Initialzündung für weitere Vorhaben sein kann?
Dr. Saskia Greiner: Ja, mit dem Verbundprojekt 'Wasserstoff-grünes Gas für Bremerhaven' wird auf dem ehemaligen Flugplatz Luneort ein Elektrolyseur-Testfeld mit Versorgungsstrukturen entstehen. Die Umsetzung dieses Initial- und Querschnittsprojekts ist angelaufen, beteiligt sind das Fraunhofer IWES, die Hochschule Bremerhaven und über einen Unterauftrag auch das ttz.
'Grünes Gas für Bremerhaven' gilt als Initialprojekt, welche weiteren Vorhaben sind betroffen?
Dr. Saskia Greiner: Mit der Errichtung des Testfelds werden auch zwei Elektrolyseure für jeweils 1 Megawatt beschafft. Werden sie 24 Stunden pro Tag betrieben, können so 800 Kilogramm Wasserstoff täglich erzeugt werden. Diese Wasserstoffproduktion wollen wir auch in konkreten Anwendungen einsetzen, zum Beispiel für die Notstrom-Versorgung einer Boje, für entsprechend ausgerüstete Gabelstapler in Unternehmen und für einen passend ausgestatteten Industrie-Backofen für Bäckereien.
Es gibt aber noch weitere Ansätze. So haben wir auch eine Methanisierungsanlage, mit der sich Methan aus Wasserstoff und CO2 herstellen lässt. Und die Hochschule Bremerhaven wird in dem Projekt 'Microgrid' eine dezentrale Versorgung mit Wasserstoff aufbauen, um das Zusammenspiel zwischen erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind mit Wasserstoff zu testen. Dabei geht es unter anderem darum, mit dem Einsatz von Wasserstoff überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne zu speichern. In diesem Prozess könnte Energie mit einer Brennstoffzelle wieder rückverstromt werden. Die Hochschule wird auch untersuchen, wie man die zusätzliche Wärme, die dabei entsteht, nutzen kann. Eine entsprechende Anlage zur Wasserstoffproduktion ist bereits in Betrieb genommen worden.
Wie weit ist Bremerhaven-Bus mit dem geplanten Einsatz von Fahrzeugen mit Wasserstoff-Antrieb?
Dr. Saskia Greiner: Im Herbst sollen die ersten Busse nach Bremerhaven geliefert werden. Bei Bremerhaven-Bus wird dazu noch ein paralleles Projekt aufgebaut, das Joint-Venture 'HyCity Bremerhaven', an dem mehrere Unternehmen beteiligt sind. Das Projekt ist einem Wasserstoff-Ökosystem für Bremerhaven gewidmet. Dazu wird ein Elektrolyseur an einer Onshore- Windenergieanlage aufgebaut, um grünen Wasserstoff zu produzieren. Dieser grüne Wasserstoff soll an einer öffentlichen Tankstelle, die direkt neben dem Gelände von Bremerhaven-Bus liegt, angeboten werden. Dort wird man also grünen Wasserstoff 'made in Bremerhaven' tanken können.
Herr Voß, welche Schwerpunkte hat die Stadt Bremen in der vom Senat beschlossenen Wasserstoffstrategie gesetzt?
Dieter Voß: Herausragend ist in Bremen das Potenzial zur CO2-Reduktion durch den geplanten Einsatz von Wasserstoff in der Stahlerzeugung. ArcelorMittal will vor 2045 CO2-neutral werden und beabsichtigt, die beiden Hochöfen sukzessive abzuschalten. Dafür werden eine Direktreduktionsanlage mit Wasserstoff und ein bis zwei Elektro-Lichtbogenöfen eingesetzt.
Das zweite zentrale Projekt in Bremen betrifft Wasserstoff als Beitrag zum klimaneutralen Fliegen. Dabei geht es im Kern um die Entwicklung von Tanksystemen für flüssigen Wasserstoff in der Luftfahrt. In der Raumfahrt wird flüssiger Wassertoff schon seit 40 Jahren genutzt. Airbus in Bremen kommt damit eine Führungsrolle bei der Tank-Infrastruktur für flüssigen Wasserstoff zu.
Bleiben wir einen Moment lang beim Thema 'grünes Fliegen': Die verschiedenen Projektaktivitäten dazu finden unter anderem im Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT (Bremen Center for Eco-efficient Materials and Technologies) statt, aber vermutlich auch an weiteren Standorten?
Dieter Voß: Dieses Projekt wird an verschiedenen Standorten bearbeitet. Die Anteile, die die eigenen Kernkompetenzen betreffen, macht Airbus selbst. Dinge, die zusätzlich benötigt werden, wie zum Beispiel Rohrleitungen, Ventile und anderes kleineres Material, kann Airbus auslagern. Was allerdings im engeren Sinne im Flugzeug verbaut wird und was dort funktionieren muss, das macht Airbus selbst, und das ist ein Schwerpunkt, der in Bremen bleiben wird.
Welchen Stellenwert hat die sukzessive Umstellung der Stahlerzeugung mit dem Einsatz von 'grünem' Wasserstoff für ArcelorMittal und Bremen?
Dieter Voß: Die Stahlerzeugung verursacht derzeit mehr als 50 Prozent der CO2 -Emissionen der Industrie im Land Bremen. Das Stahlwerk ist deshalb mit zwei Projekten eingebunden in die so genannten 'Important Projects of Common European Interest' (IPCEI). In einem ersten Projekt soll zunächst bei einem Hochofen der CO2-Ausstoß durch den Einsatz von grünem Wasserstoff deutlich reduziert werden, bevor er auf längere Sicht abgeschaltet wird. Zum Aufbau der ersten 12 Megawatt Elektrolyseleistung hat Bremen zehn Millionen Euro aus dem Bremen-Fonds als Förderung bereitgestellt. Der zweite Hochofen soll durch eine Anlage zur Direktreduktion ersetzt werden.
Gehen andere Stahlproduzenten in Europa ähnliche Wege?
Dieter Voß: Alle Stahlhersteller in Europa gehen diesen Weg, mit einigen technischen Unterschieden. Kein Stahlhersteller kann es sich leisten, zu sagen, ich mache so weiter wie bisher. Aber dennoch bleibt die Frage, wie die EU künftig beispielsweise mit Stahl aus China umgeht. Die europäischen Stahlhersteller investieren und bekommen voraussichtlich anteilige Förderungen dafür, werden nach heutigem Stand aber höhere Betriebskosten zu tragen haben. Das wird die Produkte teurer machen. Wenn die EU zulässt, dass dann z.B. aus China billiger Stahl nach Europa kommt, werden die europäischen Hersteller ein Problem bekommen.
In Fachkreisen kursiert inzwischen der Begriff 'Wasserstoff-Hanse', was hat es damit auf sich?
Dieter Voß: Dieser Begriff stammt aus einem Projekt der Universität Bremen. Ein übergeordnetes Projektziel ist hier die Vernetzung mit Partnern im Nord- & Ostseeraum mit dem Ziel, einen Initialimpuls für eine Wasserstoff-Hanse zu geben. Denn die Nord- und Ostseeanrainerstaaten haben besonders gute Voraussetzungen für eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft. Mit der Offshore-Windenergie steht ein überproportionales Angebot an erneuerbaren Energien zur Verfügung. Die Industriegebiete im Nord- und Ostseeraum sind Großverbraucher von Energie, die unmittelbar beliefert werden können. Und die Häfen bieten sich als natürliche Transitpunkte für den Import und die Weiterleitung von Wasserstoff und deren Derivaten an.
Das Großprojekt „hyBit - hydrogen for Bremen‘s industrial transformation. Ein Initialimpuls für die Wasserstoff-Hanse“ wird im Kern den Transformationsprozess hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft in den Bremer Industriehäfen bearbeiten. Gleichzeitig soll aber auch die überregionale Vernetzung mit Partnern im Nord- und Ostseeraum sichergestellt und damit an alte Traditionen angeknüpft werden.
Frau Dr. Greiner, Herr Voß, vielen Dank für das Gespräch!
Eine Übersicht über alle Wasserstoff-Projekte bietet die Webseite der BIS-Bremerhaven.
Wasserstoffstrategien Bremen + Norddeutschland
Die fünf norddeutschen Bundesländer haben sich darauf verständigt, im Rahmen einer Norddeutschen Wasserstoffstrategie einen koordinierten Transformationsprozess in Gang zu setzen und bis 2030 mindestens fünf Gigawatt Elektrolyseleistung zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zu installieren. Der Bund und die EU begleiten diesen Prozess im Rahmen sogenannter IPCEI-Projekte (Important Projects of Common European Interest). Das Land Bremen hat seine Planungen in die Zielsetzungen und Vorgehensweisen der EU, des Bundes sowie der Norddeutschen Bundesländer eingepasst. Die „Wasserstoffstrategie Land Bremen" des Senats stellt die Grundlage dar für die weitere Entwicklung und Förderung der Wasserstofftechnologien und -wirtschaft im Land Bremen. In Bremen und Bremerhaven sind bereits zahlreiche Projekte angelaufen, andere werden derzeit vorbereitet.