05.03.2024
Autor: BIS mbH
„Was soll ich sagen? Ganz ehrlich: Das war unsere bisher größte Infrastrukturaufgabe.“ Nils Schnorrenberger, Geschäftsführer der BIS Wirtschaftsförderung, bringt es auf den Punkt. „Wir sind mit der Baustelle auf einer Länge von mehr als zwei Kilometern und einer Breite von bis zu 80 Metern mitten durch die gewachsene Stadt gegangen. Das ist technisch eine Herausforderung, aber vor allem auch für die beteiligten Anwohnenden.“
So mussten für den Hafentunnel nicht nur Erdreich, Leitungen und Vegetation aus dem Weg geräumt werden, sondern auch eines: Bedenken. „Wir mussten den Leuten erklären, warum teilweise nicht nur Vorgärten genutzt, sondern auch Häuser für den Tunnelbau weichen sollten“, betont Thorsten Gens, Bereichsleiter Infrastruktur bei der BIS. Er selbst war eine gute Wahl für diese Aufgabe und hat das mit sichtlicher Überzeugung getan. „Ich bin Bremerhavener und stolz, dass wir dieses außergewöhnliche Bauwerk in unserer Stadt haben. Für mich als Bauingenieur ist es zudem ein großes Glück, dass ich solche Projekte in meiner Heimatstadt begleiten durfte – und für die gesamte Stadt, dass wir den Hafentunnel nun haben.“
Dabei ist die Entscheidung für die jetzt ausgeführte Trasse nicht leichtgefallen. „Wir hatten tatsächlich rund 50 Varianten, die wir intensiv geprüft haben“, erinnert sich Thorsten Gens – und legt noch heute beim Gedanken an die anspruchsvolle Aufgabe die Stirn in Falten. „Einige davon gingen sogar über niedersächsisches Gebiet – die sogenannte Nordumgehung. Letzten Endes hat sich dann die Variante Cherbourger Straße in dieser Ausführung als beste Lösung erwiesen.“ Der Experte muss es wissen. Immerhin ist Thorsten Gens seit 1999 in der Hafentunnelplanung dabei. Der Magistratsbeschluss lautete damals: vierspuriger und kreuzungsfreier Ausbau der Cherbourger Straße – und das aus gutem Grund.
Fünf Kilometer Kajenlänge direkt an der Weser, Containerterminal, Autoumschlag, der zweitgrößte See-Hafen in Deutschland und zahlreiche städtische Gewerbegebiete drum herum: die neue Anbindung an die Autobahn bietet nicht nur staufreien und damit fließenden Hafenverkehr, sondern auch Planungssicherheit für die Zukunft. „Der Hafentunnel ist für einen Zeitraum von 80 Jahren konstruiert und gebaut. Mit dieser logistischen Infrastruktur hat die Seestadt Bremerhaven damit einen immensen Pluspunkt – auch für zukünftige Firmenansiedlungen und Investitionen“, erklärt Nils Schnorrenberger. Die Bauphase mit dem Start in 2013 war für den engagierten Wirtschaftsförderer deshalb auch eine wirkliche Geduldsprobe.
„Zuerst haben wir gefühlt einfach nur in der Erde gegraben. Alles war voller Schlick und Schlamm. Dass hier mal der Verkehr durch den Hafentunnel fließen sollte, war schwer vorstellbar“, erzählt er. Dann entspannt sich sein Gesicht deutlich. Er lacht. „Aber dann kam 2015. Da wurde das erste Tunnelsegment betoniert. Das war das erste Mal, dass der Hafentunnel sichtbar wurde und ich dachte: Meine Güte, wir sind wirklich auf dem Weg.“
Im Gegensatz zu anderen Tunnelbauwerken ist der Bremerhavener Hafentunnel nicht im Bohrbetrieb als Röhre entstanden, sondern in offener Bauweise in Schlitzbauweise mit Erdaushub. Für insgesamt 23 ineinandergreifende Bauabschnitte wurden die Tunnelsegmente direkt vor Ort nacheinander in Betonbauweise gegossen – insgesamt 200.000 Kubikmeter, was dem Volumen von 25.000 herkömmlichen Betonmischern entspricht.
"Das ist aber längst nicht alles, was bewegt werden musste“, wirft Dirk Thies ein. Er hat den Bau des Hafentunnels auf BIS-Seite geleitet und die beeindruckenden Zahlen in Kopf. „Wir haben zum Beispiel rund 400.000 Kubikmeter Erde ausgehoben – was vier Millionen Schubkarren sind. Dazu kommen 24.000 Tonnen Stahl, die verbaut wurden. Das ist dreimal so viel, wie für den Eifelturm.“ Für den Bauleiter war das Baubüro auf dem Gelände der ehemaligen Carl-Schurz-Kaserne direkt an der Tunnelbaustelle für viele Jahre das zweite Zuhause.
Zum Erfolg des wichtigen Verkehrsbauwerks hat sicher auch seine deutlich sichtbare Leidenschaft beigetragen. Wenn Dirk Thies mit leuchtenden Augen vom Hafentunnel erzählt, ist das ein bisschen wie Abenteuerspielplatz – aber mit ernstem Hintergrund. „Um den Bodenaushub für den Tunnel und die Tröge überhaupt möglich zu machen, haben wir stabilisierende Schlitzwände mit einem speziellen Gerät bis in eine Tiefe von 25 Metern eingebracht“, schildert er. Für die Küstenregion eine anspruchsvolle Arbeit – die trotz der sorgfältigen Bodenuntersuchungen im Vorfeld des Tunnelbaus für unerwartete Überraschungen sorgen kann.
„Wir hatten plötzlich im Bereich eines Baugrubensegments einen Wassereinbruch aus dem Erdboden. Da muss man erstmal herausfinden, wo das herkommt und vor allem, wie man das abdichten kann“, erzählt der Experte. Was offensichtlich gelungen ist - schließlich läuft der Verkehr ohne Probleme durch den Hafentunnel. Versorgungsleitungen so für den Bau umverlegen, dass Strom und Wasser weiterhin bei den Anwohnern ankommen, verschiedene Gewerke vom Tiefbau über den Betonierer bis zum Elektriker koordinieren, beteiligte Firmen bei Baubesprechungen auf den Weg bringen – die Aufgaben bis zur Fertigstellung des Hafentunnels waren zahlreich und auch unter hohem Zeitdruck.
„Eine absolute Herausforderung war der Bau des Tunnelabschnitts zehn unter der Eisenbahnstrecke. Hier musste wirklich alles vom Ablauf her stimmen, damit die Bahnverbindung nicht unterbrochen wird – vor allem in den Hafen. Das wäre ein Fiasko gewesen“, betont Dirk Thies. Aber auch dieses Problem wird mit Hilfe von zwei Gleis-Hilfsbrücken gelöst und so können die Züge ohne Unterbrechung fahren, während es unter den Gleisen mit dem Hafentunnel weiter vorangeht.
Der Bau des Hafentunnels fällt auf Seiten des Magistrats in den Zuständigkeitsbereich des Amtes für Straßen- und Brückenbau. Das Amt hat als Bauherr die Arbeit der BIS als Projektmanager eng begleitet – und nicht nur das. „Es war wirklich hilfreich, dass die BIS das Projektmanagement für den Hafentunnel übernommen hat. Somit konnten wir uns ausführlich um alle hoheitlichen Aufgaben kümmern“, sagt Amtsleiter Enno Wagener. Dazu gehörten unter anderem die Finanzierung, die Genehmigungen, die Abstimmung zwischen dem Bund und dem Land Bremen sowie der gesamte Austausch mit der Politik und dem Gremium Magistrat. „Der Bau des Hafentunnels war gemeinsam mit der BIS eine zielführende Teamleistung. Das hätten wir als Amt mit dem vorhandenen Personal nicht allein leisten können.“
Ganz besonders erfolgreich war zum Beispiel die Zusammenarbeit bei der Vorbereitung des Baubeginns inklusive des notwendigen Planfeststellungsverfahrens. „Über die BIS konnten die benötigten Grundstücke von den privaten Eigentümern im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens gekauft werden“, erklärt Enno Wagener. „Als Kommune hätten wir das sonst erst machen können, wenn der Planfeststellungbeschluss vorliegt. Dadurch hatten die Betroffenen Planungssicherheit und wir konnten Streitigkeiten im Planfeststellungsverfahren schon vorzeitig ausräumen.“
Rund 500 Menschen arbeiten auf der Großbaustelle und im Hintergrund, bis der komplette Hafentunnel samt Ein- und Ausfahrten, Fahrbahnen, Beleuchtung, Notausgängen und Verkehrsleitsystemen fertig ist. Mit dem Bodenaushub werden ein Hügel als attraktiver Aussichtspunkt und eine ansprechende Spielelandschaft für Kinder geschaffen. Auch ein neuer Skaterpark entsteht. Die Lärmbelastung für die Anwohner durch Straßenverkehr sinkt durch den Tunnelbau um die Hälfte und die Luftqualität verbessert sich deutlich messbar. Ein Jahrzehnt intensiver Baustellenarbeit mit schönen und auch mit herausfordernden Momenten geht zu Ende. Was ist persönlich am stärksten in Erinnerung geblieben?
Nils Schnorrenberger: „Eindeutig: Der Moment, als das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss abgewiesen hat. Als der Richter ansetzte mit …im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil… da ging mir schon der Puls – und wenn dann vom Gericht die Note Eins mit Sternchen für die Planung vergeben wird, ist das mehr als erleichternd.“
Thorsten Gens: „Als wir 2013 an der Stelle standen, wo später mal die Autos in den Hafentunnel fahren sollten und der erste Spatenstich gemacht wurde. Das war für mich persönlich ein sehr bewegender Moment. Immerhin hatte ich 1999 mit dem ersten Magistratsbeschluss zum ersten Mal mit dem Hafentunnel zu tun. Und jetzt ist er fertig.“
Dirk Thies: „Ich habe immer wieder einen schönen Moment mit dem Hafentunnel – nämlich, wenn ich reinfahre. Das Westportal hat als Gestaltungs-Detail ein aufragendes Spitzdach über dem Eingang. Das erinnert mich jedes Mal an die Autofrachter im Hafen, wenn die über die Rampen beladen werden. So habe ich nicht nur das Gefühl, selber in einen Autofrachter zu fahren, sondern werde jedes Mal auch an die Schönheit des Hafens erinnert.“
Das Dirk Thies jetzt dieses Gefühl genießen kann, ist nicht selbstverständlich. Denn kurz vor der Eröffnung des Hafentunnels stellte sich plötzlich heraus, dass eine Firma notwendige Bauteile für die Elektronik wegen eines Lieferengpasses nicht parat hatte. Die per E-Mail angekündigte Wartezeit: ein Jahr. „Das wäre natürlich fatal gewesen“, betont Nils Schnorrenberger, „und war ein Schreck für das gesamte Team.“ Doch wie konnte das Problem gelöst werden? Mit persönlichem Einsatz und Kreativität. Nils Schnorrenberger hat kurzum die Bremerhavener Werften abtelefoniert, ob nicht eventuelle dort solche Bauteile vorhanden sind. Die Antwort: Ja, können wir besorgen, dauert aber. Wie lange? Zwei Wochen.
„Das ist eben der Vorteil an der Seestadt Bremerhaven. Hier sind wir vernetzt, hier wird nicht lange geschnackt, sondern gemacht“, freut sich Nils Schnorrenberger heute noch. So hat die regionale Wirtschaft dazu beigetragen, dass der Tunnel rechtzeitig am 18. Dezember 2023 zum ersten Mal für den Verkehr freigegeben werden konnte und das Zeichen zur Einweihung könnte nicht schöner und eindeutiger sein: Der Hafen für den Tunnel und ein Tunnel für den Hafen.