24.10.2021
Autor: Wolfgang Heumer
Zwölf Plastikbecher stehen auf dem Tisch. Jedes ist mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. Zwei enthalten reines Wasser, der Inhalt der übrigen ist leicht mit einem Geschmacksstoff versetzt. Süß, sauer, salzig, bitter, umami. „Jeweils zwei Becher enthalten denselben Stoff“, erläutert Anneli Rost. Nun geht es darum, die Geschmacksrichtung zu identifizieren und die beiden zusammengehörigen Trinkbecher zu finden. Ein Kinderspiel, so mag man glauben. Doch nach zehn Minuten hat der Reporter erst zwei Geschmacksrichtungen richtig erkannt, zwei weitere aber gar nicht. „Sie können wir leider nicht als Testperson beschäftigen“, spricht die Ökotrophologin die bittere Wahrheit aus. In ihrem Arbeitsbereich kommt es schließlich darauf an, geschmackliche Nuancen zu erkennen. Anneli Rost gehört zum Team des Sensoriklabors im ttz Bremerhaven, das regelmäßig wissenschaftlich begleitete Geschmacksprüfungen für neue oder veränderte Produkte aus der Lebensmittelindustrie macht.
Kritische Prüfung im Sensoriklabor verhindert den Supergau im Supermarkt
Von Brotaufstrich über Suppen und Saucen bis zu Komplettgerichten, Getränken, Knabbereien, Kuchen und Schokolade: Lebens- und Genussmittel für eine breite Käuferschicht zu entwickeln, ist eine Kunst für sich. „Letztlich entscheidet sich am Verkaufsregal, ob das Produkt toppt oder floppt“, sagt Ökotrophologin Imke Matullat. Sie ist Kompetenzfeldmanagerin Sensorik und Konsumentenforschung im ttz Bremerhaven.
Die Hersteller möchten den Supergau im Supermarkt vermeiden. Deshalb lassen sie vor der Markteinführung, häufig aber schon während der Entwicklungsphase, neue oder veränderte Produkte unter wissenschaftlicher Aufsicht im Labor testen. „Freiwillige Testpersonen verkosten die Produkte nicht nur, sondern beurteilen auch das Aussehen, den Geruch, die Verpackung und bei bestimmten Produkten auch die Haptik“, erläutert Matullat.
Sensoriklabor entstand in Zusammenarbeit mit der Lebensmittelindustrie
Das moderne Labor ist im Zuge der Entwicklung Bremerhavens vom Fischereihafen zu einem bedeutenden Standort der Lebensmittelindustrie entstanden. Seit Ende der 1990er Jahre ergänzt es die lebensmitteltechnologischen Aktivitäten des ttz Bremerhaven. „Das Sensoriklabor entstand seinerzeit in Zusammenarbeit mit der Bremerhavener Lebensmittelindustrie“, berichtet Imke Matullat. Die Verbindung zur regionalen Fisch- und Lebensmittelwirtschaft ist heute immer noch so eng wie in den Anfangsjahren. „Aber tatsächlich sind wir längst bundesweit für die Lebensmittelindustrie aktiv“, sagt Imke Matullat.
Das Urteil von 100 Testpersonen als gute Grundlage für eine sichere Bewertung
In Relation zu seiner Bedeutung für die industriellen Kunden wirkt das Bremerhavener Sensoriklabor äußerlich nüchtern und sachlich. An einem schmalen Gang befinden sich zehn Kabinen, jede ist mit einem kleinen Arbeitstisch ausgestattet und über eine Öffnung in der Wand mit dem Nachbarraum verbunden. In diesem Raum – eine Kombination aus wissenschaftlichem Labor und Küche – werden die zu beurteilenden Proben vorbereitet und anschließend den Probanden ausgehändigt. „In der Regel wissen die Testpersonen nichts über den Hersteller“, betont Anneli Rost. Ausnahmen gibt es nur, wenn die Testerinnen oder Tester auch die Verpackung und deren Gestaltung beurteilen sollen.
Zunächst wird der Geruch und danach der Geschmack beurteilt. „Die Testpersonen notieren ihren persönlichen Eindruck“, erläutert die Wissenschaftlerin. Um die Angaben auswerten zu können, gibt es standardisierte Fragen. „Es nehmen jeweils rund 100 Testpersonen teil; das ist eine gute Grundlage für eine sichere Bewertung“, sagt Anneli Rost. Insgesamt kann das Sensoriklabor auf einen großen Pool von freiwilligen Testpersonen zugreifen; regelmäßig sucht das Institut per Zeitungsanzeige aber auch neue Probanden. „Die Bremerhavenerinnen und Bremerhavener sind kritische Testpersonen“, betont Imke Matullat. Aus der Summe ihrer subjektiven Eindrücke ergibt sich dann ein objektives Urteil. Reich wird man durch die geschmackvolle Arbeit nicht – die Testpersonen erhalten je nach Umfang des Tests eine Aufwandsentschädigung von mindestens zehn Euro.
Modernste Technologie zur Erforschung des Konsumentenverhaltens
Genauso intensiv wie mit den sensorischen Eigenschaften eines Produkts – also Aussehen, Geruch, Geschmack, Haptik und Klang –, befasst sich das Team des Sensoriklabors auch mit der Erforschung des Konsumentenverhaltens. Mithilfe von Spezialbrillen, die Augenbewegungen registrieren, können die Wissenschaftlerinnen zum Beispiel beobachten, wie Kunden und Kundinnen eine Verpackung oder eine Produktinformation wahrnehmen. Mit Kameras zur Gesichtserkennung und einer speziellen Software zur Analyse der Mimik können sie zudem feststellen, welche Emotionen ein Produkt auslöst und welche Faktoren das Einkaufsverhalten bestimmen.
Die Expertinnen und Experten des Labors belassen es aber nicht dabei, das nahezu fertige Produkt beurteilen zu lassen. Sie bringen sich, wenn vom Kunden gewünscht, auch in den Entwicklungsprozess ein. „Unsere ausgebildeten Prüfer können den Entwicklern detailliert erläutern, wie sich sensorische Eigenschaften von Produkten durch eine Veränderung in der Rezeptur oder im Produktionsprozess verändern“, betont Imke Matullat. Eigene Forschungsprojekte tragen ihren Angaben zufolge dazu bei, dass das Sensoriklabor der Industrie neue Impulse geben kann.
Über Geschmack lässt sich zwar nicht streiten - aber die Wahrnehmung lässt sich trainieren. Das Sensoriklabor hat spezielle Testkits entwickelt, mit denen Firmenkunden die Sensorikkompetenz ihrer Beschäftigten schulen können. Zu den Grundbestandteilen gehören die Proben, die Anneli Rost dem Reporter gereicht hatte. „Die Wahrnehmung von süß, sauer, salzig, bitter und umami ist eine Grundvoraussetzung für unser Geschmacksempfinden“ erläutert sie. Wer manches davon nicht auf Anhieb erkennt, sollte aber nicht verzweifeln: „In den meisten Fällen ist es eine Frage der Dosierung.“
Pressekontakt:
Imke Matullat, Kompetenzfeldmanagerin Sensorik und Konsumentenforschung, Tel.: +49 471 80934200,
E-Mail: imatullat@ttz-bremerhaven.de
Bildmaterial:
Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.
Foto 1: „Letztlich entscheidet sich am Verkaufsregal, ob das Produkt toppt oder floppt“, sagt Ökotrophologin Imke Matullat. © WFB/Jens Lehmkühler
Foto 2: Ann-Christin Birk vom ttz Bremerhaven nimmt Becher entgegen, in denen sich Wasser mit verschiedenen Geschmacksrichtungen befindet. © WFB/Jens Lehmkühler
Foto 3: Mithilfe einer Eyetracking-Brille untersucht das ttz, ob die Bedienelemente einer Mikrowelle sinnvoll angeordnet sind. © WFB/Jens Lehmkühler
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