28.02.2025
Autor: Wolfgang Heumer
Ein ausgemustertes Frachtschiff wird mit voller Kraft voraus auf einen Strand irgendwo in Asien gesteuert. Schnell rücken Arbeitskräfte an, ausgerüstet mit Hammer oder Schweißgerät, sie sind aber nur selten mit Helmen und Sicherheitsschuhen gegen die Gefahren beim Abwracken alter Schiffstonnage geschützt. Und die Umwelt bekommt jede Menge Schad- und Giftstoffe ab. Ab Sommer 2025 soll damit Schluss sein. Mit dem Inkrafttreten der Hongkong-Konvention der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO rücken Arbeitssicherheit, Umweltschutz und das Verwerten von Stahlschrott in den Vordergrund: Für den Rückbau der Hüllen von Seeschiffen und das Recycling der an Bord befindlichen Materialien gelten dann weltweit verbindliche Standards. Dadurch könnten Abwrackwerften auch in Deutschland wieder wettbewerbsfähig werden.
Schiffbautradition im Bewusstsein der Menschen verankert
Anja Binkofski, Doktorandin am Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven, erforscht, welches Potenzial sich dadurch ergibt. Der Schiffbau gehört zu den traditionsreichsten Wirtschaftszweigen in Norddeutschland. „Im Zuge des Strukturwandels hat die Branche aber viel von ihrer Bedeutung verloren“, sagt die 28-Jährige, „viele der früheren Standorte werden längst für ganz andere Zwecke genutzt.“ Schiffsrecycling könnte an die lange Schiffbautradition anknüpfen. Ob und wie das gelingen kann, steht im Mittelpunkt ihrer Dissertation, sie sie Ende 2028 abchließen will. Auch wenn die Zahl der Schiffbaubetriebe in Nordwestdeutschland in den vergangenen Jahrzehnten stets kleiner wurde, „ist die Branche immer noch fest im Bewusstsein vieler Menschen verankert“, sagt die Kulturwissenschaftlerin.
Forschungsarbeit untersucht Voraussetzung für Schiffsrecycling
Das Deutsche Schifffahrtsmuseum, eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft, hatte eine Dissertation über das Abwracken und seine Entwicklung ergänzend zur bereits umfassend dokumentierten Historie des Schiffsneubaus gesucht. Als sich Binkofski für ihre Bewerbung auf die Doktorandenstelle näher mit dem Thema befasste, wurde ihr schnell klar: „Wenn man den Fokus nicht aufs Abwracken, sondern aufs Schiffsrecycling richtet, ist es ein hochaktuelles Thema, das mit vielen Fragen verbunden ist.“ Welche ökonomischen Chancen stecken im Schiffsrecycling? Ergeben sich Möglichkeiten, ehemalige Schiffbaustandorte zu revitalisieren und an lange Traditionen anzuknüpfen? Welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden? Mit solchen Fragen überzeugte Anja Binkofski die Verantwortlichen des Museums, die Forschungsarbeit auf den Blick in die Zukunft auszurichten – und bekam die Stelle.
Stahlwerke brauchen Schiffsschrott als Rohstoff
Bereits vor knapp zwei Jahren hatte das Netzwerk „Maritimes Cluster Norddeutschland“ in Bremen ein Symposium zu den Konsequenzen aus der Hongkong-Konvention veranstaltet. Darin präsentierte der wissenschaftliche Geschäftsführer des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung in Bremen, Professor Raimund Bleischwitz, eine vielbeachtete Studie. Demnach werden ab 2033 jährlich weltweit mehr als 20 Millionen Tonnen Stahlschrott aus dem Abbruch von Fracht- und Passagierschiffen auf den Markt kommen. Zugleich wächst der Bedarf der Stahlindustrie an diesem Rohstoff. Allein das Stahlwerk in Bremen von ArcelorMittal werde im Zuge der Umstellung auf klimaschonende Produktionsverfahren bis zu 1,75 Millionen Tonnen Schrott pro Jahr als Rohstoff benötigen. Deutschland könnte nach Auffassung von Bleischwitz auf dem Geschäftsfeld Schiffsrecycling eine führende Rolle in Europa übernehmen.
Rechtliche Hemmnisse bremsen Chancen für die maritime Industrie
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn die bürokratischen Hürden für das Schiffsrecycling in Deutschland sind hoch. „Wenn ein Schiff für einen Umbau oder eine Reparatur teilweise zerlegt wird, ist dies durch die vorhandene Betriebsgenehmigung eines Schiffbaubetriebes abgedeckt“, erläutert Susanne Neumann, Leiterin der Geschäftsstelle des Maritimen Clusters in Niedersachsen. „Wenn es jedoch um das vollständige Zerlegen geht, ist zusätzlich eine abfallrechtliche Erlaubnis erforderlich.“
Die Problematik der rechtlichen Voraussetzungen für Schiffsrecycling-Betriebe bekommen auch Unternehmen in Bremen und Niedersachsen zu spüren: Das Bremer Unternehmen Leviathan steht schon länger in den Startlöchern, um eine erste Anlage für emissionsarmes Schiffsrecycling in Betrieb zu nehmen. Und auch die Emder Werft und Dock GmbH, die zur Bremerhavener Benli-Gruppe gehört, will mit einem neu gegründeten Unternehmen in den Rückbau von Schiffen einsteigen.
Mit juristischen Voraussetzungen sowie technischen Fragen beschäftigt sich Anja Binkofski in ihrer Dissertation nur am Rande. Sie konzentriert sich auf die Chancen und den Nutzen des Schiffsrecyclings für traditionsreiche Schiffbaustandorte wie Bremerhaven. „Sicherlich können hier nicht die ganz großen Frachter zerlegt werden“, betont sie, „aber es können kleinere Schiffe oder ganz bestimmte Schiffstypen sein.“ Eine der wichtigsten Fragen: „Wie können Schiffseigner dazu bewegt werden, ihre Schiffe hier und nicht irgendwo auf der Welt zu recyceln?“
„Wir wollen für die Gegenwart und Zukunft lernen“
Dass sich das auf die Schifffahrtshistorie ausgerichtete Forschungsmuseum in Bremerhaven für dieses zukunftsweisende Thema engagiert, ist für Anja Binkofski keine Überraschung. „Wir interessieren uns hier ja nicht nur für die Geschichte, sondern wollen daraus für die Gegenwart und Zukunft lernen.“ Für das Verständnis einer globalisierten Welt habe das Wissen um die Schifffahrt eine wesentliche Bedeutung: „Schiffe prägen unsere Beziehung zum Meer und zu anderen Ländern – sozial und kulturell, wirtschaftlich, technisch und wissenschaftlich.“
Mit Blick auf diese Prägung interessiert es sie für ihre Forschungsarbeit auch, welche Akzeptanz das Schiffsrecycling in der Bevölkerung finden wird und wie eine positive Grundeinstellung geschaffen werden kann: „Der Schiffsneubau hatte ja immer einen hohen Stellenwert“, sagt sie. Ein Film in der neuen Dauerausstellung des Deutschen Schifffahrtsmuseum zeigt dies deutlich. Darin ist zu sehen, wie Tausende jubeln, als der Passagierdampfer „Bremen“ 1928 auf der legendären Bremer Werft AG Weser vom Stapel läuft. „Eine solche Resonanz wird Schiffsrecycling sicher nicht auslösen“, sagt die Wissenschaftlerin. Eine gewisse Emotionalität stecke aber schon in dem Thema: „Keiner spricht davon, dass ein Schiff verschrottet wird. Es heißt vielmehr, dass es seine letzte Reise antritt.“
Pressekontakt:
Anja Binkofski, Doktorandin, Deutsches Schifffahrtsmuseum/ Leibniz-Institute für Maritime Geschichte, E-Mail: a.binkofski@dsm.museum