27.03.2025
Autor: Insa Lohmann
Alles beginnt in der Antarktis: Die Physikerin Helene Hoffmann und der Ingenieur Thomas Sterbenz überwintern mehr als ein Jahr lang auf der Forschungsstation Neumayer III des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI). Zwischen Forschungsalltag und Minusgraden wird aus den beiden Wahl-Bremerhavenern nicht nur ein Paar, sie entdecken auch ein gemeinsames Hobby: Sie sammeln Schneeflocken und verewigen sie mit einem speziellen Verfahren zu kleinen Souvenirs.
Denn es war der Wunsch nach einem Andenken aus der Antarktis, der Thomas Hoffmann, wie er nach der Heirat inzwischen heißt, auf die Idee brachte, Schneeflocken zu konservieren. „Ich wollte gerne eine Erinnerung von meinen Expeditionen mitnehmen“, sagt der Ingenieur. Die beeindruckenden Polarlichter, Kaiserpinguin-Kolonien oder der Blick in den Himmel auf die Milchstraße – all diese Phänomene hautnah zu erleben, ließe sich kaum beschreiben. Festhalten kann er seine Eindrücke lediglich auf Fotos. „Ich habe mich gefragt, was es hier sonst gibt. Übrig blieben Schnee, Eis und Schneeflocken“, sagt der 40-Jährige.
Außerdem sind die Polarwinter lang und dunkel, monatelang sind die Überwinterer in einer kleinen Gruppe von der Zivilisation isoliert – und haben Zeit. Ein Hobby neben der vielen Forschungsarbeit war gefragt, aber nicht irgendeins. Winzige Flocken konservieren und in Kunst zu verwandeln – das lag nahe bei der Faszination der Hoffmanns für eisige Polarlandschaften, speziell für Schneekristalle.
Ruhige Hände und Fingerspitzengefühl
Das Experimentieren in der Antarktis konnte beginnen. Thomas Hoffmann unternahm mit verschiedenen Klebstoffen, die er vor Ort zur Verfügung hatte, erste Versuche. „Ich habe es immer weiter probiert und irgendwann hat es endlich funktioniert.“ Die idealen Bedingungen für eine konservierte Schneeflocke? „Erstmal muss es schön schneien“, sagt Helene Hoffmann. Und zwar so, dass einzelne Kristalle vom Himmel fallen, erklärt die 39-Jährige. Bei geringen Minusgraden wie in Deutschland sei das kaum möglich.
Mit einem großen dunklen Karton fängt das Paar die Flocken auf. Anschließend werden die schönsten ausgesucht. Dafür werden ruhige Hände und Fingerspitzengefühl benötigt: Mit einem Skalpell oder kleinem Pinsel setzen sie die einzelnen Kristalle vom Karton auf ein Glasplättchen. Dann kommt ein Tröpfchen Kleber drauf und ein Deckplättchen, anschließend muss die Schneeflocke mehrere Tage in der Kälte aushärten. Die Flocke verdampft langsam, was bleibt, ist ein weißer Abdruck. „Was man dann sieht, ist der Negativabdruck der Schneeflocke“, erläutert Helene Hoffmann.
Jede Schneeflocke ist einzigartig
Mehr als hundert von ihnen hat das Paar inzwischen gesammelt und konserviert. Einige Exemplare aus ihrer Sammlung haben sie auf dem Küchentisch ihrer Bremerhavener Wohnung ausgelegt. Die Seestadt ist mittlerweile der Lebensmittelpunkt des aus Kärnten stammenden Ingenieurs und der Physikerin aus der Pfalz. Helene Hoffmann reicht eine Lupe, so werden die Feinheiten der eisigen Kunstwerke erst richtig sichtbar. Manche Schneeflocken haben scharfe Zacken und sehen aus wie kleine Sterne, andere haben ganz weiche Formen. „Wie sie aussehen, hängt von den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit vor Ort ab“, erklärt sie.
Und so ist jede Schneeflocke einzigartig, keine gleicht einer anderen genau. Bereits in den 1930er- und 1960er-Jahren gab es Versuche, Schneeflocken zu konservieren. Doch zurzeit sind die Bremerhavener nach eigenen Angaben die einzigen Forschenden weltweit, die Schneeflocken vom arktischen und antarktischen Winter konservieren. Besonders stolz ist das Ehepaar auf die Schneeflocken von der MOSAiC-Expedition 2019 – der größten Polarexpedition der Geschichte. Thomas Hoffmann war dabei und ist damit einer der wenigen Menschen, die neun Monate am Nordpol überwintert haben. Ein Jahr lang driftete das Forschungsschiff Polarstern durch den Arktischen Ozean.
Wissenschaft durch Kunst sichtbar machen
Ihre Leidenschaft für die Naturphänomene in den Polarregionen wollen Helene und Thomas Hoffmann teilen. Und sie haben eine Mission: Wissenschaft durch Kunst sichtbar machen. Hinter jeder konservierten Flocke steckt ein kompletter Datensatz mit genauer Uhrzeit, Längengrad und Temperatur. „Damit kann man die Herkunft jeder Schneeflocke nachvollziehen“, erklärt Thomas Hoffmann. Mittlerweile ist aus den ersten Schneeflocken-Kunstwerken ein größeres Hobby geworden. Helene Hoffmann kam schließlich die Idee, auch größere Querschnitte von Eisbohrkernen aus ihrer Forschung sichtbar und haltbar zu machen.
Die meterlangen Eisstäbe aus der Tiefe der Antarktis hat Thomas Hoffmann in eine Lichtinstallation verwandelt. Der Eisbohrkern zeigt den Übergang von frischen Schneeflocken bis zu 400.000 Jahre altem Eis: der Lebenszyklus eines Gletschers. „Es ist eigentlich ein Nerd-Kunstwerk“, gibt Helene Hoffmann zu und lacht. Doch hinter der Spielerei steckt ein wissenschaftliches Anliegen. Denn der Aufbau des Eiskerns macht kleine Luftblasen sichtbar, die so alt sind wie das Eis selbst. Diese Lufteinschlüsse geben Aufschluss darüber, wie die Erdatmosphäre vor Tausenden von Jahren zusammengesetzt war.
„Die Schönheit und Ästhetik der Wissenschaft“
„Die Forschungsarbeit in den Polargebieten lässt uns immer wieder staunen“, sagt Thomas Hoffmann. Reine Laborarbeit wäre den beiden zu langweilig. „Neben der puren Wissenschaft ist es auch die Schönheit und Ästhetik der eisigen Natur, die mich antreibt“, sagt Helene Hoffmann. Um ihre Verbindung von Wissenschaft und Kunst zu teilen, haben sie das Projekt „Cryosity“ gegründet – der Name ist eine Anspielung auf die englischen Begriffe Kälte und Neugierde. Inzwischen haben sie weitere Kunstobjekte geschaffen, sie sollen die Verbindung von Klimaforschung und Vergänglichkeit der Natur zeigen.
Seit die Bremerhavener Wohnung immer voller wird, richten die Hoffmanns regelmäßig Ausstellungen mit ihren Lieblingsstücken aus. „Mit unseren Werken möchten wir Klimageschichte anschaulich machen“, sagt Helene Hoffmann. „Die Schneeflocken sind einfach zu schade für die Schublade.“ Aus einem besonders schönen Exemplar hat Thomas Hoffmann seiner Frau ein Schmuckstück gefertigt. Die beiden haben noch viele Ideen für ihr Hobby. Die Nachfrage nach ihren eisigen Kunstwerken ist groß. „Die Schneeflocken aus der Antarktis sind für uns allerdings extrem wertvoll“, sagt Helene Hoffmann. „Die wollen wir eigentlich nicht hergeben.“
Pressekontakt:
Helene und Thomas Hoffmann, E-Mail: hoffmann.cryosity@gmail.com
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